Die Immobilienpreise sind im vergangenen Jahrzehnt enorm gestiegen. In deutschen Metropolen wie München, Hamburg oder Köln haben sich die Kaufpreise pro Quadratmeter mehr als verdoppelt. Und bisher ist kein Ende der Preissteigerung anzusehen. Doch auch die Mietpreise haben in den letzten Jahren deutlich angezogen. Vielleicht ist dies der Grund, aus dem noch immer die große Mehrheit der Menschen in Deutschland trotz der hohen Immobilienpreise den Traum von den eigenen vier Wänden träumt. Vor allem das Einfamilienhaus ist weiterhin stark begehrt. Zwar sind die Zinsen für Immobilienkredite noch immer denkbar niedrig, doch es bleibt die Frage, wie man bei Kaufpreisen von einer halben Millionen Euro und höher, in einem angemessenen Zeitraum ausreichend viel Eigenkapital ansparen soll. Immerhin lautete bislang die Empfehlung, dass mindestens 20 Prozent des Kaufpreises aus eigenen Mitteln finanziert werden solle – besser deutlich mehr. Mittlerweile gibt es jedoch viele Banken und Kreditinstitute, die unter bestimmten Voraussetzungen eine sogenannte Vollfinanzierung – eine Finanzierung ohne bzw. mit geringem Eigenkapital – anbieten. Wir erklären, für wen eine Vollfinanzierung in Frage kommt, wie der Weg zur Vollfinanzierung Schritt für Schritt aussieht und geben Tipps, was für einen günstigen Kredit zu beachten ist.
Im Rahmen einer Vollfinanzierung vergibt die Bank einen
Kredit ohne oder mit wenig Eigenkapital. Zu unterscheiden sind hier mehrere
Möglichkeiten: die 100-Prozent-Finanzierung, die 110-Prozent-Finanzierung und
die 130-Prozent-Finanzierung.
Wer die Nebenkosten für den Hausbau oder Immobilienkauf aus
eigenen Mitteln finanzieren kann, die Kauf- oder Bausumme jedoch komplett von
der Bank finanzieren lässt, nimmt eine 100-Prozent-Finanzierung in Anspruch. Zu
den Nebenkosten gehören beispielsweise die Maklergebühren bzw. beim
Hausbau die Baunebenkosten, die Grunderwerbsteuer, die Kosten für
die Eintragung ins Grundbuch sowie Notarkosten. In der Regel
betragen die Kaufnebenkosten 10 Prozent des Kaufpreises. Beim Bau eines Hauses
liegen die Nebenkosten oft noch höher.
Wer neben der Summe für den Immobilienkauf oder Hausbau auch
das Geld für die Nebenkosten leihen muss, benötigt eine 110-Prozent-Finanzierung.
Abgesehen von den Nebenkosten können weitere Kosten auf
Immobilienkäufer und Häuslebauer zukommen. Dies ist der Fall, wenn die
Bestandsimmobilie vor Bezug renoviert, saniert oder modernisiert werden soll oder,
wenn im Rahmen des Hauskaufs zusätzliches Geld für die Ausstattung der Räume
oder das Anlegen
eines Gartens benötigt wird. Wer Kauf- oder Bausumme, Nebenkosten und
weitere anfallende Kosten über einen Kredit finanzieren will, der muss eine
sogenannte 130-Prozent-Finanzierung beantragen.
Das klassische Eigenkapital besteht aus Geld, das sofort zur Verfügung steht. Dazu zählt Geld auf einem Konto oder Sparbuch, ein zuteilungsreifer Bausparvertrag, Aktien, Fördermittel oder Zuschüsse bzw. Kredite von Verwandten. Es gibt jedoch noch andere anerkannte Sicherheiten, die Kreditkondition positiv beeinflussen. Wer beispielsweise im Besitz einer schuldenfreien weiteren Immobilie ist, hat gute Karten. Vielleicht gibt es sogar Sicherheiten, die sie selbst gar nicht als solche erkennen – wie zum Beispiel wertvolle Kunstwerke. Es kann von Vorteil sein, diese in einem Beratungsgespräch mit der Bank zu identifizieren.
Es ist wichtig zu wissen, dass auch Eigenleistungen,
die beim Hauskauf oder Hausbau erbracht werden, als Eigenkapital anerkannt
werden. Eine Eigenleistung
besteht immer dann, wenn für bestimmte Arbeiten im Rahmen des Hausbaus oder bei
der Sanierung einer Bestandsimmobilie keine Handwerker beauftragt werden,
sondern die Maßnahmen selbst durchgeführt werden. Es kann sich bei einer
Eigenleistung beispielsweise um das Verlegen von Fliesen, Malerarbeiten oder
die Dachdämmung handeln. Freunde und Familie dürfen natürlich mithelfen. Die
Berechnungsgrundlage für diesen Eigenkapitalersatz ist der Stundensatz eines
Handwerkers. Viele Banken haben zudem eine Maximalhöhe, bis zu der
Eigenleistungen als Kapitalersatz anerkannt werden.
Wer eine Vollfinanzierung bewilligt bekommt, spart sich die
Ansparphase für das Eigenkapital. Das ist verlockend, weil es vielen Menschen
schon frühzeitig ermöglicht, eine Immobilie zu erwerben. Zudem gibt es aktuell
bei den Banken kaum Zinsen, was eine Ansparphase ohnehin erschwert. Und: Auch
die Mieten werden immer teurer. Nicht selten muss mittlerweile mehr als das
empfohlene Drittel des Gehalts für Wohnraum ausgegeben werden. Dies erschwert
ebenfalls eine Ansparphase.
Man könnte sagen, mit einer Vollfinanzierung wird von Beginn
an investiert, statt gespart. Denn schließlich ist mit einer Wertsteigerung der
Immobilie zu rechnen. Wenn Haus oder Wohnung doch einmal verkauft werden
sollen, wird dies wahrscheinlich mit Gewinn möglich sein.
Zudem zahlen Immobilienkäufer statt der steigenden Mietpreise
im Zeitraum der Zinsbindung eine festgelegte Tilgungsrate. Diese wird passend
zur aktuellen Einkommenssituation errechnet. Wer sich Gehaltsmäßig steigert,
hat noch immer die gleiche Rate zu zahlen und monatlich mehr Geld für andere
Dinge zur Verfügung.
Neben den Vorteilen der Vollfinanzierung gibt es auch einige
Nachteile zu bedenken. So ist durch das fehlende Eigenkapital in der Regel der
Zinssatz gegenüber einem Kredit mit Eigenkapital höher. Tatsächlich kann mit
einem bis zu 1 Prozent erhöhtem Zinssatz gerechnet werden. Dies sollte
berücksichtigt werden, um auszurechnen, ob es sich nicht doch eher lohnt, ein
paar Jahre zu warten und lieber noch etwas Eigenkapital anzusparen.
Zudem ist die Laufzeit eines Kredits zur Vollfinanzierung höher und wer durch äußere Umstände bereits nach einer kurzen Rückzahlphase zu einem Wiederverkauf der Immobilie genötigt ist, hat gegebenenfalls weiterhin hohe Zahlungsverpflichtungen über einen langen Zeitraum.
Gerade in
Zeiten von Niedrigzinsen klingt eine Vollfinanzierung vorteilhaft. Und die
Banken sehen das ähnlich. Galt vor einigen Jahren noch ein Eigenkapitalanteil
von mindestens 20 Prozent als wichtige Voraussetzung für einen
Immobilienkredit, so bieten heute immer mehr Kreditinstitute eine
Vollfinanzierung an. Auf diese Weise wirken sie den immer weiter steigenden
Mieten entgegen und reagieren auf die Niedrigzinsphase.
Dennoch kommt nicht für jeden Kreditnehmer eine
Vollfinanzierung in Frage. Denn zum einen lassen sich die Banken ihr durch die
Vollfinanzierung erhöhtes Risiko durch einen höheren Zinssatz bezahlen. Zum
anderen gelten strengere Voraussetzungen und Bedingungen.
Einer der wichtigsten Punkte ist das Einkommen. Beamte und
Angestellte mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag haben gute Chancen. Während
ein regelmäßiges und sicheres Einkommen auch bei einer Finanzierung mit
Eigenkapital eine wichtige Voraussetzung ist, achten die Banken bei einer
Vollfinanzierung noch einmal besonders auf die Höhe des Gehalts und die Bonität
des Kreditnehmers.
Konkret bedeutet dies: Je
höher und sicherer das Einkommen, umso wahrscheinlicher ist die Chance auch
eine Vollfinanzierung und umso besser sind die von der Bank gebotenen Konditionen.
Übrigens: Grundsätzlich ist es für Selbständige schwierig
einen Immobilienkredit zu bekommen. Einige Freiberufler haben jedoch aufgrund
ihrer gefragten und gutbezahlten Jobs dennoch sogar bei einer Vollfinanzierung
gute Chancen. So werden nur wenige Banken dem Arzt mit der etablierten Praxis
einen Kredit verwehren.
Neben dem Einkommen spielt auch das Alter des Kreditnehmers eine Rolle. Denn wer in jungen Jahren einen Kredit aufnimmt, hat mehr Zeit, um diesen bis zur Rente zu tilgen. Auf der anderen Seite steigt das Einkommen in bestimmten Berufsgruppen mit zunehmendem Alter deutlich. Und so hat manch einer zwar als Berufsanfänger kaum die Möglichkeit, Eigenkapital anzusparen, kann dafür aber zu einem späteren Zeitpunkt sehr hohe Kreditraten problemlos tilgen.
Vor der Vollfinanzierung steht ein ehrlicher Kassensturz.
Wer es nicht bereits tut, sollte dringend anfangen, ein Haushaltsbuch zu
führen, um sich einen exakten Überblick über Einnahmen und Ausgaben zu verschaffen.
Im Idealfall führt man das Haushaltsbuch über mehrere Monate, wenigstens aber
einen Monat lang. Dabei sollten auch Kosten berücksichtigt werden, die
vierteljährlich oder Jährlich anfallen. Das Haushaltsbuch deckt auf, wie viel
Geld monatlich zur Finanzierung eines Kredits zur Verfügung steht. Dabei sollte
immer mit einem finanziellen Puffer geplant werden. Wer ein Haus kauft oder
baut, muss Rücklagen für Reparaturen bilden und eventuell weitere
Versicherungen als die bisher vorhandenen abschließen. Zudem sind für das
Eigenheim in der Regel mehr Nebenkosten fällig als für die Mietwohnung.
Gerade eine Vollfinanzierung läuft in der Regel über viele
Jahre. Zeiträume zwischen 25 und 35 Jahren sind keine Seltenheit. Darum ist es
umso wichtiger, vor der Kreditaufnahme Banken und Kreditinstitute zu
vergleichen. Bei solch langen Laufzeiten machen sich bereits kleine
Zinsunterschiede in den Nachkommastellen deutlich bemerkbar. Das Gute ist, dass
heutzutage niemand mehr von Bank zu Bank laufen muss, um Vergleichsangebote
einzuholen. Wer sich mit einem Haushaltsbuch einen guten Überblick über seine
Finanzen verschafft hat, kann mit wenigen Klicks bei Vergleichsportalen im
Internet Angebote vergleichen.
Nun wird es ernst und es heißt, eine Finanzierungszusage bei
der Bank einzuholen und den Kredit zu beantragen. Die Finanzierungszusage braucht
es in der Regel vor dem Hauskauf oder Bau.
Tipp: Wer
bereits eine Finanzierungszusage in der Tasche hat, bevor er auf
Hausbesichtigung geht, kann bei Interesse für ein Objekt schnell zuschlagen und
dem Verkäufer ein gesichertes Angebot unterbreiten. Bei der großen Konkurrenz
auf dem Immobilienmarkt ist dies Gold wert.
Die Bank verlangt selbstverständlich einiges an Unterlagen.
Denn sie prüft genau die finanziellen Verhältnisse und die Bonität des
Antragstellers, bevor sie die Finanzierung zusagt. Wer alle Unterlagen und
Nachweise gründlich zusammenstellt, vermittelt dem potenziellen Kreditgeber ein
transparentes Bild. Und für die Banken zählt nicht zuletzt, dass der
Kreditnehmer einen ehrlichen und zuverlässigen Eindruck macht.
Zu den wichtigsten Unterlagen für die Bank gehören:
-
Gültige Ausweisdokumente wie ein Personalausweis
oder Reisepass
-
Gehaltsnachweise der vergangenen drei Monate
-
Kontoauszüge der vergangenen drei Monate
-
Einkommensbescheid
-
Arbeitsvertrag
-
Angaben zu laufenden finanziellen
Verpflichtungen (z.B. Leasingverträge oder laufende Kredite)
-
Angaben zum Eigenkapital (Nachweise über Aktien,
Fonds, Sparbücher, Bausparverträge oder Sicherheiten)
Darüber hinaus will sich die Bank ein genaues Bild vom zu
finanzierenden Objekt machen, um eine Bewertung vornehmen zu können. Lageplan,
Grundbuchauszug, Grundriss, Angaben zu Alter und Zustand des Objekts bzw. eine
Baubeschreibung oder eine Baukostenberechnung werden in der Regel von den
Kreditinstituten verlangt. Zudem werden die Banken nach dem Immobilienkauf bzw.
der Fertigstellung des Neubaus eine Besichtigung durch einen Experten vornehmen
lassen.
Wer über ein gutes und sicheres Einkommen verfügt, kann in der Niedrigzinsphase von einer Vollfinanzierung profitieren – vor allem, wenn in Zukunft steigende Zinsen erwartbar sind. Risiken wie Berufsunfähigkeit oder ein (vorübergehender) Jobverlust sollten dennoch bedacht und entsprechend abgesichert werden. Auch veränderte Lebensbedingungen beispielsweise durch Familienzuwachs, Studium der Kinder oder der Wunsch nach einem Wechsel des Arbeitsplatzes sollten in die Überlegungen einbezogen werden.
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